213-12__ Hungerberg, Julius Paul Wilhelm, wegen Beteiligung an der sog. "Großen Judenaktion" 07.-09.11.1941 in Dünaburg, insbes. an Erschießung eines 15jährigen Mädchens im Rahmen der Räumung des Dünaburger Ghettos u. der Erschießung jüdischer Bewohner (Staatsanwaltschaft Hamburg 147 Js 15/74), 19

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Ref. code:213-12__
Title:Hungerberg, Julius Paul Wilhelm, wegen Beteiligung an der sog. "Großen Judenaktion" 07.-09.11.1941 in Dünaburg, insbes. an Erschießung eines 15jährigen Mädchens im Rahmen der Räumung des Dünaburger Ghettos u. der Erschießung jüdischer Bewohner (Staatsanwaltschaft Hamburg 147 Js 15/74)
Laufzeit:(1941) 1974-1978
Contains also:Wichtige Zeugen: Becu, Alfred; Arajs, Viktor; Tabbert, Günter; Iwens, Sidney.
Enthält u.a.: Straftatbestand: ANKLAGE wegen Mordes in Dünaburg, Lettland, vom 07.11.1941-09.11.1941. Der Angeklagte beteiligte sich als Angehöriger der KdS-Außenstelle Dünaburg an einer Massenerschießung, der mindestens 3000 Juden aus dem Ghetto Dünaburg zum Opfer fielen. Der Angeklagte selektierte Juden, stellte Kolonnen zusammen und trieb Opfer auf Lkws, die sie zu den Erschießungsorten brachten. Außerdem erschoß er am Vormittag des 08.11.1941 eigenhändig die 14-jährige Riwkina, die sich zu ihrer Mutter retten wollte. - Die Einsatzgruppe A tötete bis zum 15.10.1941 in Litauen 81.171 Menschen (davon 80.311 Juden), in Lettland 31.868 Menschen (davon 30.025 Juden), in Estland 1158 Menschen (davon 474 Juden) und in Weißruthenien 7.620 Juden, insgesamt 121.817 Menschen, davon 118.430 Juden. Der Leiter der EG A, Dr. Stahlecker, wurde BdS Ostland mit Sitz in Riga. Außerdem gab es den HSSPF für das Reichskommissariat Ostland sowie die SSPF auf der Ebene der Generalkommissariate und SS- und Polizeistandortführer auf der Ebene der Gebietskommissariate. KdS Lettland war zunächst SS-Standartenführer Rudolf Batz (verstorben), dann vom 05.11-1941-02.12.1941 SS-Obersturmbannführer Dr. Strauch (verstorben), ab 03.12.1941 SS-Obersturmbannführer Dr. Rudolf Lange (verstorben). Es gab KdS-Außenstellen in Libau, Mitau und Dünaburg. Die Außenstelle Dünaburg entstand Mitte Oktober 1941, vielleicht auch schon im August 1941. Führer war bis Oktober 1941 der SS-Unter-, später SS-Obersturmführer Günter Tabbert. Sein Nachfolger war der Kriminalkommissar und SS-Hauptsturmführer Eberhard Schiele. Die Außenstelle Dünaburg war im Gebietskommissariat in Mesziems (Vorort von Dünaburg) befindlich. Kurz darauf zog sie in das Verwaltungsgebäude der lettischen Kommandantur. Tabbert ließ in Abrenen, Ludsen und Rositten Außenposten einrichten. Bereits seit Ende Juli 1941 war in der Zitadelle Dünaburg ein jüdisches Ghetto eingerichtet worden. Zwar gab es einen lettischen Ghetto-Kommandanten namens Saube (nicht ermittelbar), eigentlicher Herr war aber Tabbert. Stellvertreter Tabberts war Becu. Dünaburg war bereits am 26.06.1941 von Deutschen besetzt worden. Kurz darauf begann die Ermordung der jüdischen Bevölkerung durch das Sonderkommando 1b. 1. Um den 29./30.06.1941 wurden jüdische Männer zwischen 16 und 60 Jahren zum Marktplatz von Dünaburg befohlen. Die meisten der 1.000 Angetretenen wurden ins Gefängnis gepfercht, am 04.07.1941 wurden die meisten von ihnen erschossen. Die jüdischen Frauen, Kinder und restlichen Männer wurden in der zweiten Julihälfte 1941 in einem Teil der Zitadelle Dünaburgs im Vorort Griwa ghettoisiert. Die Gebäude waren früher Pferdeställe, dann Artilleriekasernen gewesen. Die Juden mußten unter unmenschlichen Bedingungen leben, viele hatten nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Zusätzlich wurden Juden aus der Umgebung ins Ghetto gepreßt. Zeitweise waren über 10.000 Menschen dort inhaftiert. Die erste Aktion fand bereits Ende Juli oder Anfang August 1941 statt; der Ghetto-Kommandant Saube ließ die Juden durch lettische Wachmannschaften aus ihren Unterkünften treiben. Dann teilte er mit bzw. ließ mitteilen, die Juden kämen in ein geräumigeres Ghetto. Einige meldeten sich freiwillig, dann fanden Selektionen statt. Insbesondere die Juden aus der Umgebung Dünaburgs fielen diesen Selektionen zum Opfer. Innerhalb von ca. 2 Stunden wurden 500-600, vielleicht sogar 700-2.000 Menschen selektiert. Die Ausgesonderten wurden von lettischer Polizei bewacht und in den 3 km entfernten Ort Pogulanka geführt, wo sie auf einer Wiese nächtigen mußten.
Anschließend wurden sie am nächsten Tag an Massengräbern in Gruppen von je 10 Personen erschossen, wobei die Opfer die Oberbekleidung und Wertsachen abliefern mussten. Die Erschießung dauerte 4-5 Stunden. Die Opfer mußten jeweils die Erschießung anderer miterleben. In der ersten Augusthälfte 1941 wurden erneut Selektionen im Ghetto durchgeführt, denen vor allem ältere Menschen, aber auch Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Lettische Polizisten brachten die Selektierten auf den Sammelplatz auf der Wiese bei Pogulanka, wo die Opfer vor der Erschießung nächtigen mußten, am nächsten Morgen wurden sie nahe der Erschießungsstätte bei Poulanka ermordet. Angehörige der KdS-Außenstelle leiteten die Exekution. Die Zahl der Opfer betrug zwischen 200 und 1000. Die größte sog. Aktion fand an zwei Tagen zwischen dem 15.-20.08.1941 statt. Angehörige der KdS-Außenstelle Dünaburg selektierten Juden im Ghetto. Solche mit Bedienstung bei Bahnhofskommandantur, Stadtverwaltung oder KdS-Außenstelle wurden von den Nichtbeschäftigten getrennt. Diese mußten über Nacht auf dem Ghettohof bleiben und wurden am nächsten Morgen nach Pogulanka geschafft, wo sie erschossen wurden. An zwei Tagen wurden etwa 3000 Menschen ermordet. Im August 1941 wurden 40-60 jüdische Waisenkinder, vielleicht sogar 400 jüdische Waisenkinder, die ihre Eltern u.a. bei den vorangegangenen Aktionen verloren hatten, nahe Pogulanka erschossen. Laut einer Aufstellung des EK 3 wurden in Dünaburg vom 13.07.1941-21.08.1941 9012 Juden sowie 573 Kommunisten erschossen. Es war daher anzunehmen, daß bis zum 22.08.1941 das EK 3 die Erschießungen durchführte. Im November kam es erneut zu einer großen Aktion. Vom KdS Lettland war der Befehl gekommen, alle nicht für deutsche Dienststellen tätigen Juden zu liquidieren. Die Angehörigen der Außenstelle trafen die nötigen Vorbereitungen. Verstärkt wurde die KdS-Außenstelle Dünaburg durch das Jagdkommando Arajs. Am Morgen des 07.11.1941 wurden Selektionen auf dem Ghettohof durchgeführt. Wer einen roten Arbeitsausweis der KdS-Außenstelle Dünaburg hatte, konnte sich zusammen mit Familienangehörigen auf die eine Seite eines Zaunes stellen, die anderen mußten auf der anderen Seite Aufstellung nehmen. Da viele ihr Schicksal ahnten, versuchten zahlreiche Menschen, auf die andere Seite zu gelangen, sich zu verstecken oder aus dem Ghetto zu fliehen. Die sog. Arbeitsjuden wurden an ihre Arbeitsstellen gebracht, ihre Familienangehörigen ins Ghetto zurückgetrieben. Die Selektierten mußten im Ghettohof nächtigen. Am Morgen des 08.11.1941 begann der Transport zu den Exekutionsorten nahe Pogulanka. Lkws der Frontleitstelle Dünaburg fuhren rückwärts an die Toreinfahrt des Ghettos heran, die Juden wurden von lettischen Wachmannschaften und KdS-Angehörigen brutal auf den Wagen getrieben. Kleinkinder wurden dabei wahllos auf die Wagen geworfen. Auf jedem Lkw wurden 35-40 Menschen transportiert. Die Lkws fuhren Richtung Pogulanka. Nahe einem verlassenen Waldhaus mußten die Juden von den Lkw springen und sich in dem Waldhaus vollständig ausziehen. Teils zu Fuß, teils in einem Bus mußten sie den letzten Kilometer zur Erschießungsstätte zurücklegen. Diese befand sich auf einem sandigen Platz, zwei Erschießungsgruben mit ca. 30-40 m Länge waren ausgehoben. In Gruppen von 10 Personen wurden die Opfer an den Rand geführt und von hinten vom Jagdkommando Arajs durch Karabinerschüsse getötet. Die Ermordeten fielen in die Grube hinein, teils blieben sie auch am Grubenrand liegen. Die nachfolgenden Opfer, die bereits die Erschießung hatte mitansehen müssen, mußten nun die Leichen vom Grubenrand in die Grube werfen. Kinder wurden oft nicht erschossen, sondern erschlagen. Angehörige der deutschen Sicherheitspolizei leiteten die Exekutionen und feuerten sog. Gnadenschüsse ab. Am 08.11.1941 wurden weitere Selektionen im Ghetto Dünaburg durchgeführt.
Nun wurden auch Familienangehörige der sog. Arbeitsjuden selektiert oder auch Juden, die im Ghetto leichtere Arbeiten übernommen hatten. Dann wurden die Selektierten wieder nach Pogulanka geschafft. Am 09.11.1941 wurden wieder Selektionen durchgeführt und vor allem Kinder bis zu 15 Jahren ausgesucht. Der Mordaktion vom 07.-09.11.1941 fielen mindestens 3.000, vielleicht sogar 5.000-6.000 Juden zum Opfer. Die Zahl der Opfer vom 09.11.1941 belief sich auf 1134 Juden. Der Chef der KdS-Außenstelle Dünaburg, SS-Obersturmführer Tabbert, schrieb am 11.11.1941 an den Gebietskommissar von Dünaburg, daß 1134 Juden am 09.11.1941 exekutiert worden seien. Nach der Aktion lebten nur noch ca. 1.000 Juden im Ghetto. Anfang 1942 oder Ende 1941 kam es zu einer Fleckfieberepidemie, Juden starben an Seuchen und Unterernährung, die über das Ghetto verhängte Quarantäne dauerte bis Ende Februar oder Ende April 1942. Am 01.05.1942 wurde das Ghetto vollständig liquidiert. Wieder leitete die KdS-Außenstelle Dünaburg die Aktion; das Jagdkommando Arajs war an den Mordaktionen beteiligt. Alle Alten, Kranken und Kinder wurden wahllos im Ghetto getötet oder in Pogulanka erschossen. Die letzten Juden von Dünaburg kamen 1943/1944 in Konzentrationslager. - Der Angeklagte war vom 07.-09.11.1941 beteiligt. Am 08.11.1941 erschoß er ein Mädchen namens Riwkina, das von seiner Mutter getrennt worden war, die bereits bei den Selektierten für den Abtransport nach Pogulanka wartete. Der Angeklagte schleppte das Mädchen, das zu seiner Mutter zu gelangen versuchte, zurück. Als sie wieder zu ihrer Mutter wollte, erschoß er sie. Der Angeklagte bestritt. Er sei während der Aktion nach Preili abgeordnet gewesen. Auch habe er nie auf Juden geschossen. - Die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht teilgenommen, war unglaubwürdig. Die KdS-Außenstelle Dünaburg war relativ schwach personell besetzt, es war daher davon auszugehen, daß alle ihre Angehörigen bei einer umfangreichen Aktion wie der des 07.-09.11.1941 zum Einsatz kamen. --- ABLEHNUNG HV: Der Angeklagte war nicht hinreichend verdächtig. Die Zeugen belasteten den Angeklagten teils nicht, teils war eine Überführung aufgrund der Zeugenaussagen nicht zu erwarten.
Vorsitzender Richter:Wagner, Dr. (21.09.1976); Schmidt, Dr. (Hanseatisches OLG)
Staatsanwalt:Kuhlmann (Anklage)
Alte Aktenzeichen staatsanw. Ermittlungsverfahren:Staatsanwaltschaft Hamburg 147 Js 15/74, abgetrennt aus 147 Js 25/71; 4110/56E - 1 - 56E - 2.- Parallelverfahren: Dortmund 45 Js 5/61 = Dortmund 45 Ks 1/68.
Former reference codes:213-12_0614
Angeklagte / Beklagte:Hungerberg, Julius Paul Wilhelm, geb. am 18.06.1906 in Osnabrück, gest. am 29.01.1978 in Hamburg, Angeh. EK 2; Angeh. KdS-Außenstelle Dünaburg, SS-Hauptscharführer; Kriminaloberassistent
Date of birth:6/18/1906
 

Usage

End of term of protection:12/31/2008
Permission required:Keine
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Accessibility:Öffentlich
 

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