213-12__ Wigand, Arpad Jakob Valentin, u.a., wegen Weitergabe von Schießbefehlen durch den SSPF Warschau, den stellv. KdG Warschau und den Ia im Stab des KdO Warschau, Juden bei verschiedenen Verstößen ohne vorheriges Gerichtsverfahren zu erschießen; auf der Grundlage dieser Befehle wurden mindest

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Ref. code:213-12__
Title:Wigand, Arpad Jakob Valentin, u.a., wegen Weitergabe von Schießbefehlen durch den SSPF Warschau, den stellv. KdG Warschau und den Ia im Stab des KdO Warschau, Juden bei verschiedenen Verstößen ohne vorheriges Gerichtsverfahren zu erschießen; auf der Grundlage dieser Befehle wurden mindesten 2300 Juden exekutiert (Staatsanwaltschaft Hamburg 147 Js 8/75)
Laufzeit:(1941-1944) 1975-1987
Contains also:Bemerkung zum Az.: bei Hauptverhandlung Az (90) 3/80 KLs, bei Urteil (90) 3/80 Ks!. xxx "'Gerechte' Strafe für rechtsradikalen Gesinnungstäter?" in: taz Hamburg, 22.04.1986 und "Seuchen-Bekämpfung" in: taz Hamburg, 25.04.1986. Der Rechtsanwalt des Angeklagten Wigand hatte während der Verhandlung erklärt, das Warschauer Ghetto sei nicht zur Vorbereitung der Vernichtung der Juden, sondern zur Seuchenbekämpfung errichtet worden. Der Schießbefehl sei demzufolge als Seuchenbekämpfungsprogramm zu verstehen gewesen. Außerdem behauptete er, es wäre kein Jude verhungert, wenn die "wohlhabenden" Juden im Ghetto solidarischer gewesen wären. Wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener wurde der Anwalt zur Geldstrafe von 8400 DM verurteilt.
Enthält u.a.: Umfang / Inhalt: 33 Bde. Hauptakten: (5964 Bl.) (mit zahlreichen Fehlblättern in den Bden., da auf Teilverfahren aufgeteilt); 7 Bde. Handakten (1110 Bl., ca. 20 Bl. Unblattiert) (Zeitungsartikel zu Rechtsanwalt Rieger 25.04.1986), 56 Ordner Dokumente, BDC-Unterlagen.-
Straftatbestand: Die Anklageschrift legte den Angeklagten folgendes zur Last:
1. Der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand wies im Januar 1942 den KdG im Distrikt Warschau an, den von höchster Stelle in Krakau erlassenen Schießbefehl strikt durchzuführen, d.h. alle Juden, die sich außerhalb der Ghettos aufhielten, sofort oder sobald als möglich zu erschießen. Bis Ende Mai 1942 wurde eine unbestimmte Anzahl von Juden, mindestens aber 100, getötet.
2. Am 25.12.1941 veranlaßte der Angeklagte auf Befehl des HSSPF Krakau den Kommissar des jüdischen Wohnbezirks in Warschau (Auerswald), die Juden im Distrikt Warschau zu zwingen, alle Pelze und Felle in ihrem Besitz abzuliefern. Juden, die der Ablieferungspflicht nicht nachkommen sollten, sollten erschossen werden. Mindestens ein Jude wurde wegen Verstoßes gegen diese Anordnung im Januar 1942 in Losice, Kreis Siedlce, erschossen.
3. Der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand ließ zu, daß im Arbeitlager Treblinka (nicht zu verwechseln mit dem Vernichtungslager Treblinka) die arbeitsunfähig gewordenen jüdischen Lagerhäftlinge sofort getötet wurden, daß von Anfang 1942 bis Ende Mai 1942 insgesamt mindestens 50 Juden von Angehörigen der Lagermannschaft erschossen wurden.
4. Der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand ließ ferner zu, daß jüdische Häftlinge aus dem Gefängnis des Warschauer Ghettos in das Arbeitslager Treblinka gebracht wurden, wo sie, falls sie nicht als Arbeitskräfte benötigt wurden, sofort getötet wurden, obowohl keine Todesurteile gegen sie vorlagen. Im Mai oder Juni 1942 wurden so mindestens 60 Juden unter 18 Jahre und etwa 30 ältere arbeitsunfähige Juden von der Lagermannschaft erschossen.
Der Angeklagte Richard Emil Rudolf Carl von Coelln und der Angeklagte Rolf Franz Robert Büscher wirkten bei dem unter 1. beschriebenen Schießbefehl mit. Der Angeklagte Richard Emil Rudolf Carl von Coelln gab dabei dem KdO Warschau den Rat, den Schießbefehl bei einer Dienstbesprechung zu verkünden und um den Erschießungen den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben, zu behaupten, die Juden seien auf der Flucht erschossen worden. Der KdO Warschau befolgte diesen Rat. Die Einheiten der Schutzpolizei und Gendarmerie führten den Schießbefehl durch, so daß von Ende 1941 bis Ende Juni 1942 mindestens 200 Juden erschossen wurden. Darüber wurde laufend Meldung erstattet. Der Angeklagte Rolf Franz Robert Büscher gab als stellvertretender KdG im Distrikt Warschau den Schießbefehl an seine Zugführer weiter. Von etwa Anfang 1942 bis Mitte 1944 wurde eine nicht mehr feststellbare Anzahl von Juden - mindestens 2000 - von Angehörigen der Gendarmeriehauptmannschaft Warschau entsprechend dem Befehl getötet.
Im Urteil wurde festgestellt, daß der Schießbefehl im Winter 1941 für die Ordnungspolizei im Generalgouvernement erlassen wurde. Nachdem Juden das Verlassen des Ghettos mit der Ahndung durch Geld-, Gefängnis- und Zuchthausstrafen angedroht worden war, dies aber nicht wirksam genug war, da die Juden die von Hunger, Elend, Krankheit und Kälte beherrschten Ghettos verließen, wurde der Schießbefehl ausgegeben. Der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand war als SSPF Warschau vermutlich von Anfang an in die Entscheidungsprozesse eingebunden. In einer Besprechung am 09.01.1942 mit dem Distriktsgouverneur Dr. Fischer und dem KjW Auerswald sorgte der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand dafür, daß der Schießbefehl energisch durchgesetzt und praktiziert werden sollte. Ein Brief Auerswalds bezog sich auf diese Besprechung. Der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand behauptete zwar, keine Erinnerung an die Sitzung vom 09.01.1942 zu haben, ja, möglicherweise gar nicht in Warschau gewesen zu sein, der Brief Auerswalds aber erwähnt seine Anwesenheit bei der Sitzung ausdrücklich. Der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand informierte dann als Vorgesetzter den KdG von der geplanten Durchsetzung des Schießbefehls. Der Schießbefehl wurde im Distrikt Warschau daraufhin rigoros praktiziert. Die Erschießungen wurden schriftlich mit dem verschleiernden Terminus "auf der Flucht erschossen" gemeldet.
Der Angeklagte Rolf Franz Robert Büscher war für die Durchführung des Schießbefehls in der Hauptmannschaft Warschau (eine von dreien im Distrikt Warschau) verantwortlich. Meist waren es Gendarmen, die die Juden aufgriffen und erschossen. Vom Schießbefehl war er im November oder Dezember 1941 durch den KdG Warschau, Peterburs, informiert worden. Der Angeklagte Rolf Franz Robert Büscher gab den Befehl an die Zugführer der Hauptmannschaft Warschau weiter. Die Gendarmeriezüge meldeten laufend ihre Erschießungen an den Angeklagten Rolf Franz Robert Büscher weiter. Vom 12.02. bis 01.08.1943 wurden über 500 Juden allein durch den Gendarmeriezug Warschau erschossen. Der Angeklagte Rolf Franz Robert Büscher behauptete, von dem Schießbefehl nichts gewußt zu haben. Dies ist angesichts seiner Stellung als stellvertretender KdG Warschau unglaubwürdig. Im Vorverfahren hatte der Angeklagte Rolf Franz Robert Büscher außerdem ein Geständnis abgelegt, demzufolge er von dem Schießbefehl wußte und ihn an seine Zugführer weitergab.
Der KdO Warschau, Petsch (Viktor Felix Ernst Joachim Petsch geb. 14.02.1891 in Berlin, verstorben 20.04.1963 in Lübeck), legte dem Angeklagten Richard Emil Rudolf Carl von Coelln vor Weihnachten 1941 den Schießbefehl in einem Schriftstück vor und bat um eine Stellungnahme. Beide stimmten überein, daß der Befehl ungeheuerlich sei. Der Angeklagte Richard Emil Rudolf Carl von Coelln riet dem KdO Warschau, eine Besprechung anzuberaumen, auf der der Befehl mündlich bekanntgegeben werden solle und eine maßvolle Anwendung empfohlen werde. Der KdO Warschau folgte diesem Vorschlag.
Die genaue Zahl der Opfer des Schießbefehls kann nur geschätzt werden, die im Urteilstenor genannten Ziffern wurden ausdrücklich als zu geringe Mindestzahlen beschrieben. Für den Angeklagten Arpad Jakob Valentin Wigand kommt der Zeitraum seiner Verantwortung vom 09.01.1942 bis Mitte Mai 1942 in Betracht, für den Angeklagten Richard Emil Rudolf Carl von Coelln die Zeit von Ende 1941 bis Ende Juni 1942, für den Angeklagten Rolf Franz Robert Büscher die Phase von Ende 1941 bis Mitte 1944.
Bezüglich des 2. Tatvorwurfs wurde folgendes festgestellt: 1941 wurde im Reich eine Woll- und Wintersachen-Sammlung durchgeführt. Der Reichsführer SS Himmler wollte das Seine dazu beitragen, indem er den Juden alle Pelze wegzunehmen gedachte. Im GG begann zu Weihnachten 1941 die Pelzaktion. Der BdS Schöngarth gab den Himmlerbefehl am 24.12.1941 per Fernschreiben an die SSPF der Distrikte des GG weiter, wobei bei Nichtbefolgung des Befehls die Delinquenten zu erschießen seien. Der Stabschef des SSPF Warschau benachrichtigte den KjW Auerswald. Noch am Abend des gleichen Tages erfuhr der Judenratsvorsitzende Czerniakow im Warschauer Ghetto von dem Befehl (siehe seinen Tagebucheintrag). Am folgenden Tag beauftragte der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand Auerswald mit der Pelzsammlung. Die Frist für die Ablieferung der Pelze lief am 03.01.1942 in Warschau-Stadt, zwei Tage später für Warschau-Land ab. Laut Monatsbericht des Kreishauptmannes Siedlce wurde ein Jude im Januar erschossen, der seinen Pelz nicht abgegeben hatte. In Losice wurde laut Zeugenaussagen eine Jüdin erschossen, die einen Pelzbesatz eines Mantels nicht abgeliefert hatte. Viele Juden hatten vorher ihre Pelze billig an die Polen verkauft, um der ersatzlosen Ablieferung an die Deutschen zu entgehen. In anderen erwähnten Fällen von Erschießungen nach der Pelzaktion konnte der Nachweis nicht mit der nötigen Sicherheit geführt werden.
Bezüglich der Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Arbeitslager Treblinka - Anklagepunkte 3. und 4. - reichten die Beweise für eine Verurteilung nicht aus. Es wurde festgestellt, daß der Angeklagte Arpad Jakob Valentin Wigand das Lager Treblinka I (Arbeitslager) auszubauen plante, nachdem die bestehenden Baracken von ihm für unzureichend befunden worden waren. Das Projekt wurde nachträglich rückwirkend ab 01.09.1941 durch den Distriktsgouverneur am 15.11.1941 gebilligt. Häftlinge waren zunächst nur polnische Zivilisten, später auch Juden, dabei vor allem aus Kossow ausgesiedelte Juden aus dem Generalgouvernement, aber auch aus dem Reich. Die Handwerker unter den Häftlingen wurden in Werkstätten beschäftigt. Im Frühjahr 1942 begann der Bau des Vernichtungslagers Treblinka, auch hier wurden Häftlinge eingesetzt. Arbeitsunfähige Juden, krankgemeldete Juden oder Juden, die der Sabotage verdächtigt wurden, wurden durch Angehörige der ukrainischen Wachmannschaft in Anwesenheit eines SS-Mannes erschossen. Sie mußten sich dabei in ein vorbereitetes Massengrab legen und wurden von oben erschossen. Die Erschießungen erfolgten auf Befehl des Lagerkommandanten van Eupen, der mit dem Angeklagten Arpad Jakob Valentin Wigand befreundet war.
Zum Anklagepunkt 4.: im Mai 1942 wurden 450 Freiwillige im Ghetto Warschau rekrutiert, die durch 500 weitere Juden - teils aus dem Gefängnis in der Gesia-Straße, teils auf den Straßen eingefangen - ergänzt wurden. Sie wurden am 29./30.05.1942 per Eisenbahn ins Arbeitslager Treblinka überstellt, möglicherweise aber auch nach Bobruisk in Weißrußland. 150 unter den aus dem Gefängnis stammenden Häftlinge waren Jugendliche, die wegen illegalen Verlassenes des Ghettos oder wegen Schmuggels einsaßen. Die Überstellung war nicht legal, da laut einer Absprache des KjW, dem Leiter der Abteilung Justiz Warschau, dem Leiter der Staatsanwaltschaft und dem Vorsitzenden beim Sondergericht vom 29.05.1942 nur Personen über 18 Jahre in das Arbeitslager Treblinka zu überstellen waren. Eine Verantwortung des Angeklagten Arpad Jakob Valentin Wigand diesbezüglich ließ sich nicht nachweisen.
Vorsitzender Richter:Bertram (07.12.81); Herrmann (19.04.83)
Staatsanwalt:Fehse (Anklage); Löhr, Dr (07.12.81)
Alte Aktenzeichen staatsanw. Ermittlungsverfahren:Staatsanwaltschaft Hamburg 147 Js 8/75.
Alte Aktenzeichen Eröffnung Hauptverfahren:(90) 3/80 Ks (LG Hamburg); 5 StR 583/82 (BGH)
Former reference codes:213-12_0081
Angeklagte / Beklagte:Wigand, Arpad Jakob Valentin, geb. am 13.01.1906 in Mannheim, gest. am 26.07.1983 in Mannheim-Käfertal, SSPF im Distrikt Warschau, SS-Oberführer
Coelln, Richard Emil Rudolf Carl, von, geb. am 11.09.1894 in Kiel, Ia Offizier beim KdO Warschau, Major d.Schupo, SS-Sturmbannführer (Tatzeitpunkt)
Büscher, Rolf Franz Robert, geb. am 05.07.1909 in Dillingen/Saar, gest. am 29.03.1988 in Bonn-Bad Godesberg, Stellvertr. KdG Warschau 1941 - 1944, SS-Hauptsturmführer, Hauptmann d. Gendarmerie
Winkler, Gerhard, in unbekannt, nach 1945 im Osten erschossen, BdO Krakau vom 06.09.1941 bis Mai 1942, Generalmajor der Polizei
Weigt, Karl Otto, geb. am 24.08.1896 in Schmiegel/Provinz Posen, gest. am 25.05.1972 in Hamburg
Date of birth:7/5/1909
 

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End of term of protection:12/31/2015
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